Obwohl nahe an der berühmten Haute-Route gelegen, bleibt
die Dent d'Hérens bis heute vom Massenansturm
verschont.
Das Niemandsland Valpelline und der etwas heikle
Abstieg von der Haute-Route zum
Rifugio
Aosta über den
Col de la Division tragen sicherlich ihren Teil dazu
bei. Im späten Frühjahr jedoch ist der
berüchtigte "Notabstieg" recht gut begehbar. Auch die
Straße zum Stausee "Place Moulin" führt von
Süden schnell ins gelobte Land, und seit einigen Jahren
steht mit dem Rifugio Prarayer dort wieder eine gute
und zur Skitourenzeit durchgehend bewirtschaftete Unterkunft
zur Verfügung. Von hier lassen sich noch einige weitere
schöne Skitouren unternehmen auf einsame Gipfel
wie das Chateau des Dames oder den Mont Brulé.
Vom Parkplatz ist man entlang des Stausees in einer knappen
Stunde in Prarayer. Der Weiterweg zum
Rifugio
Aosta führt zunächst flach taleinwärts bis
zu einer Brücke, wo sich das Tal schluchtartig verengt.
Spät im Jahr kann man zu Fuß dem Sommerweg folgen.
Bei guter Schneelage überquert man die Brücke
und kann auf der Ostseite die Schlucht bequem umgehen,
was allerdings mit etwas Höhenverlust verbunden ist.
Hinter der Schlucht erreicht man einen wiederum flachen
Talboden, von dem aus das Rifugio Aosta bereits sichtbar ist.
Man erreicht die Hütte in einem weiten Linksbogen,
zuletzt über glatte Gletscherschliff-Platten (Kette).
Bei ausreichender Schneelage ist diese Stelle jedoch gut mit
Ski zu durchsteigen.
Das Rifugio Aosta war
lange Zeit in einem völlig
verwahrlosten Zustand. Vor einigen Jahren wurde grundlegend
renoviert, und wenn die Verhältnisse brauchbar sind,
ist die Hütte von einem engagierten Hüttenwirt sogar meist
bewirtschaftet (ab ca. Mitte März, spätestens ab Ostern).
Das Rifugio ist eine Oase der Ruhe im Haute-Route gebeutelten
Zentral-Teil der Walliser Alpen. Lediglich 4 Personen
waren in der Nacht von Freitag auf Samstag anwesend ... waren es
wirklich nur vier? Irgendetwas war auch noch anwesend - doch dazu später...
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Von der Terrasse des
Rifugio
Aosta hat man einen guten Blick auf die 4171 m hohe
Dent d'Hérens. Eine Schulter im Ostgrat ist ein
immer beliebteres Skitouren-Ziel. Der Hauptgipfel wird
im Rahmen einer Skitour allerdings nur recht selten bestiegen.
In diesem Winter nach Aussage des Hüttenwirts
angeblich noch gar nicht.
Man sieht deutlich die Skispuren an der ersten Steilstufe
entlang der Seitenmoräne zum Glacier des Grandes
Murailles. Die Tour erfordert sichere Verhältnisse
und sollte spätestens zur Mittagszeit wieder beendet
sein. Die erkennbaren Naßschneelawinen waren bereits
kurz nach 11 Uhr auf dem Talmarsch. Ein früher Aufbruch
war also mal wieder angesagt. Kein Problem. Um 3 Uhr morgens
ist alles bereit, incl. einer Thermosflasche mit
Marschtee...
Vor der Hütte scheppert irgendwas. Ist dort noch jemand?
"Wuff...". Eine feuchte Nase stupst von hinten, und die
hünenhafte Gestalt eines Schäferhundes steht
schwanzwedelnd im Mondlicht und will Gassi gehen...
Nach der gennanten Moräne führt der Anstieg über
eine weitere Steilstufe mit zum Teil großen
Querspalten auf das obere Gletscherplateau. Die Wegfindung ist
kein Problem. "Bobby", wie sich später heraustellte der
unternehmungslustige Hofhund von Prarayer, spurte fleißig
voraus und war mit nichts zur Umkehr zu bewegen. Nach 4
stündigem Gletschermarsch ist die Randkluft unter der
Südwestflanke erreicht. Optimale Verhältnisse am
Morgen. Ein hartes Schneefeld führt steil hinauf zum
oberen Westgrat. Bobby fährt seine Krallen aus und
zieht davon... den Zweibeinern bleibt nur langwieriges
Steigeisen-Anlegen. Die Flanke steilt sich unter dem Grat
bis ca. 50 Grad auf. Eine kleine Wächte - Bobby weicht in
die Felsen aus - jetzt muss er umdrehen! Weit gefehlt! Kaum
auf dem Westgrat angelangt, ist er wie aus dem Nichts plötzlich
wieder da und stürmt in Richtung Gipfel zum Vereinigungspunkt
von West- und Nordwestgrat. An einem Platten-Aufschwung wird hier
das Gelände schwieriger. Auf der rechten Seite scheint ein
günstiger Durchgang zu sein. Bobby knurrt unzufrieden. Da kommt
er nicht drüber. Die Platten sind vereist, zum Teil brüchig.
Unangenehm. Oberhalb ist ein guter Standplatz in Sicht und ein Haken ... und
Bobby (wo kam der jetzt plötzlich wieder her???). Wieder
scheint es rechts besser zu gehen, doch diesmal lasse ich den
Vierbeiner vorsteigen: nach links über eine kurze Platte, wieder nach
rechts über ein ebenso kurzes Band in eine enge Rinne und schon
ist der Gipfelgrat erreicht. Ein atembraubender Blick auf das
Matterhorn tut sich auf. Nach links blickt man in die endlose Tiefe
der Nordwand der Dent d'Hérens:
Trotz des Neuschnees bereitet der Gipfelgrat kaum Schwierigkeiten
(II-). Der große Block im Vordergrund zwingt Bobby am Ende
aber doch noch eine Pause auf. Er trägts mit Fassung, macht
es sich in einer kleinen Einschartung gemütlich und
läßt versonnen die Schnauze über die Nordwand
baumeln.
Einsamkeit am Gipfel. Ein großartiges Panorama. Hinten erkennt
man den Mont Blanc und knapp rechts davon den Grand Combin:
Tief unten das Valpelline mit dem Stausee. Von dort war Bobby
in der Nacht zum Samstag aufgebrochen...
Die Dent Blanche...
...und der Tiefblick in die gewaltige Nordwand:
Bobby hat treu gewartet und schmeißt sich schwanzwedelnd
die Rinne vom Grat hinunter. An dem plattigen "Abschwung" folge
ich den Pfoten-Spuren nach rechts und schon bald ist wieder
leichteres Gelände erreicht.
Rückblick entlang des Westgrats:
Bobby wartet schon...
Die Südwestflanke hinunter zum Skidepot ist immer noch
in hartem Zustand. Die ersten Sonnenstrahlen erreichen gerade
das Skidepot an der Randkluft. Diesmal nutzt Bobby die Bresche in der
Wächte. Seine Umgehungsroute im Aufstieg bleibt
sein Geheimnis...
Es ist noch früh am Tag. Die Schulter im Ostgrat lohnt noch
einen Besuch. Bobby ist begeistert, daß es noch weiter geht.
Nach einer halben Stunde ist eine runde Kuppe erreicht. Die
sogenannte "Epaule" selbst ist weiter links am Grat und erfordert
wieder leichte Kletterei. Die schenken wir uns und genießen
bei einer ausgiebigen Gipfelrast nochmal die Aussicht nach Süden
über die Grandes Murailles hinweg in Richtung Gran Paradiso
(links) und Grivola (rechts)...
...und zurück zum Gipfel der Dent d'Hérens aus neuem
Blickwinkel:
Die drei anderen Hüttengäste erreichen nun auch die
Firnkuppe. Troztdem herrscht hier noch keine Überfüllung.
Die Abfahrt beginnt im windverblasenen Harsch...
Der oberste Gletscherabbruch wird besser weiträumig umfahren.
Noch einmal fällt der Blick auf die Dent d'Hérens mit der
Anstiegsroute durch die SW-Flanke:
Bruchharsch, Firn und Pulver wechseln einander ab. Das
Abfahrtsvergnügen hält sich mal wieder in Grenzen. Aber
nur wegen des Skifahrens kommt man ja nicht hierher...
Wieder auf der Hütte angekommen, klärt mich der Wirt
über Bobby auf - den Hund von Prarayer, der sich zum Leidwesen
seines Besitzers immer wieder heimlich nachts davon stiehlt
und am Rifugio Aosta
auf einen Tourenbegleiter wartet, dem er dann
überall hin folgt. Aus Zermatt und sogar schon aus Chamonix
musste Bobby zurück geholt werden, wenn er keine geeignete
Rückbegleitung gefunden hatte (denn er geht niemals
alleine).
Bei der Abfahrt von der Hütte nehmen die Temperaturen
sommerliche Werte an. Gleißendes Licht überall. Links
oben sieht man am Gipfel des Chateau des Dames einige Skispuren.
Bobby folgt wieder. Trotz des moderigen Schnees muß man nie
auf ihn warten.
Der Berg fließt dahin. Überall kommen kleine Bäche
zum Vorschein. Die gestern noch fast geschlossene Schneedecke bis Prarayer
hat einige große Löcher bekommen, die zum Skitragen
zwingen. Das Saison-Ende kündigt sich an...
Am Rifugio Prarayer wartet der Wirt schon sehnsüchtig auf seinen
Hund. Bobby wird erst mal kräftig ausgeschimpft... "c'est un
chien-alpiniste", ein "Bergsteiger-Hund"! Nein - den kann man
vom Bergsteigen nicht abhalten...
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Routen-Info:
Vom Parkplatz am Place Moulin zum
Rifugio
Prarayer am See entlang ca. 1 Stunde. Von dort zum
Rifugio Aosta
nochmal knapp 3 Stunden. Der Anstieg zieht sich trotz des relativ
geringen Höhenunterschieds in die Länge. Der
Hüttenanstieg ist nach Neuschneefällen
lawinengefährdet.
Vom Rifugio
Aosta kurzer Abstieg und Querung auf die
große Seitenmoräne. Entlang der Moräne
zu einem flacheren Absatz, wo man den Gletscher betritt.
Die folgende hohe Steilstufe wird am linken Rand
überwunden. Im oberen Bereich zahlreiche große
Spalten. Weiter am linken Rand aufwärts bis unter
den oberen Gletscherbruch. Ein von großen Spalten
unterbrochener Eiskanal zieht direkt zum Einstieg am
Südgratfuß. Man umgeht diese Stelle besser
in einem weiten Rechtsbogen (nur geringer Höhenverlust,
20 m). Bis zum Einstieg vom Rifugio Aosta ca. 4 Stunden.
Vom Südgratfuß unterhalb der Randkluft nach
links. Durch die SW-Flanke gibt es keine feste Route. Je
nach Schneeverhältnissen gerade hinauf zum obersten
verfirnten Absatz im Westgrat (oben bis ca. 50 Grad,
Wächte!) oder weiter links haltend zu einem kurz
darunter liegenden Absatz. Der Untergrund besteht
aus teilweise brüchigen Felsplatten (Steigeisen!).
Bei Ausaperung besteht eine nicht zu unterschätzende
Steinschlaggefahr. Die Flanke sollte nur bei sicheren
Verhätnissen und auch dann nur zeitig am Morgen
begangen werden (Südlage, Gefahr von
Naßschneerutschen).
Der Westgrat führt nun über Firn und leichte
Blöcke problemlos bis zum letzten Aufschwung unterhalb
der Verbindungsstelle mit dem Nordwestgrat. Hier quert man
nach links und nach wenigen Metern wieder nach rechts zu
einer Felsniesche mit großem Haken (Platten, II-III,
je nach Verhältnissen, bzw. dadurch bedingter Wegführung).
Danach wieder nach links und durch eine kurze Rinne leicht
zum Gipfelgrat (II-). Nun immer am Grat entlang (sehr
ausgesetzt, aber klettertechnisch leicht, I-II) zum
überfirnten Gipfel. 1 Stunde vom Einstieg (ohne Sichern).
Zur "Epaule" wendet man sich vor Erreichen des Südgratfußes
nach rechts und erreicht problemlos in ca. 30 Minuten eine runde
Firnkuppe (knapp 4000 m, Wächte nach Nordosten, Vorsicht: die Kuppe
wird von einer Spalte durchtrennt). Um die eigentliche "Epaule"
(Schulter - Punkt 4076 m im Ostgrat) zu erklimmen, geht man von
hier nach links und erreicht über einen kurzen, dreieckförmigen
Steilhang felsiges Gelände. Nun ca. 50 Hm durch brüchigen
Fels zum Punkt 4076 m. Dieser letzte Anstieg sah nicht sehr lohnend
aus und wird wohl eher selten durchgeführt.
Schwierigkeit: UIAA III
Die Kletterstellen erreichen den III. Grad nicht ganz.
Sehr von den Verhältnissen abhängig. Bei Neuschnee und
Vereisung sind entsprechende klettertechnische Reserven nötig.
Es ist nicht ganz einfach, die leichteste Route zu finden. Dies
gilt insbesondere für die SW-Flanke.
Am Glacier des Grandes Murailles viele große Spalten. Nach
Neuschneefällen nur mit Seilsicherung.
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