Dent d'Hérens - 4171 m

Eine Skitour mit ungewöhnlicher Begleitung...

(30.April 2005)

Obwohl nahe an der berühmten Haute-Route gelegen, bleibt die Dent d'Hérens bis heute vom Massenansturm verschont. Photo: // (c) oeg Das Niemandsland Valpelline und der etwas heikle Abstieg von der Haute-Route zum Rifugio Aosta über den Col de la Division tragen sicherlich ihren Teil dazu bei. Im späten Frühjahr jedoch ist der berüchtigte "Notabstieg" recht gut begehbar. Auch die Straße zum Stausee "Place Moulin" führt von Süden schnell ins gelobte Land, und seit einigen Jahren steht mit dem Rifugio Prarayer dort wieder eine gute und zur Skitourenzeit durchgehend bewirtschaftete Unterkunft zur Verfügung. Von hier lassen sich noch einige weitere schöne Skitouren unternehmen auf einsame Gipfel wie das Chateau des Dames oder den Mont Brulé.

Vom Parkplatz ist man entlang des Stausees in einer knappen Stunde in Prarayer. Der Weiterweg zum Rifugio Aosta führt zunächst flach taleinwärts bis zu einer Brücke, wo sich das Tal schluchtartig verengt. Spät im Jahr kann man zu Fuß dem Sommerweg folgen. Bei guter Schneelage überquert man die Brücke und kann auf der Ostseite die Schlucht bequem umgehen, was allerdings mit etwas Höhenverlust verbunden ist. Hinter der Schlucht erreicht man einen wiederum flachen Talboden, von dem aus das Rifugio Aosta bereits sichtbar ist. Man erreicht die Hütte in einem weiten Linksbogen, zuletzt über glatte Gletscherschliff-Platten (Kette). Bei ausreichender Schneelage ist diese Stelle jedoch gut mit Ski zu durchsteigen.

Das Rifugio Aosta war lange Zeit in einem völlig verwahrlosten Zustand. Vor einigen Jahren wurde grundlegend renoviert, und wenn die Verhältnisse brauchbar sind, ist die Hütte von einem engagierten Hüttenwirt sogar meist bewirtschaftet (ab ca. Mitte März, spätestens ab Ostern). Das Rifugio ist eine Oase der Ruhe im Haute-Route gebeutelten Zentral-Teil der Walliser Alpen. Lediglich 4 Personen waren in der Nacht von Freitag auf Samstag anwesend ... waren es wirklich nur vier? Irgendetwas war auch noch anwesend - doch dazu später...

Von der Terrasse des Rifugio Aosta hat man einen guten Blick auf die 4171 m hohe Dent d'Hérens. Eine Schulter im Ostgrat ist ein immer beliebteres Skitouren-Ziel. Der Hauptgipfel wird im Rahmen einer Skitour allerdings nur recht selten bestiegen. In diesem Winter nach Aussage des Hüttenwirts angeblich noch gar nicht.

Photo: // (c) oeg

Man sieht deutlich die Skispuren an der ersten Steilstufe entlang der Seitenmoräne zum Glacier des Grandes Murailles. Die Tour erfordert sichere Verhältnisse und sollte spätestens zur Mittagszeit wieder beendet sein. Die erkennbaren Naßschneelawinen waren bereits kurz nach 11 Uhr auf dem Talmarsch. Ein früher Aufbruch war also mal wieder angesagt. Kein Problem. Um 3 Uhr morgens ist alles bereit, incl. einer Thermosflasche mit Marschtee...

Vor der Hütte scheppert irgendwas. Ist dort noch jemand? "Wuff...". Eine feuchte Nase stupst von hinten, und die hünenhafte Gestalt eines Schäferhundes steht schwanzwedelnd im Mondlicht und will Gassi gehen...

Nach der gennanten Moräne führt der Anstieg über eine weitere Steilstufe mit zum Teil großen Querspalten auf das obere Gletscherplateau. Die Wegfindung ist kein Problem. "Bobby", wie sich später heraustellte der unternehmungslustige Hofhund von Prarayer, spurte fleißig voraus und war mit nichts zur Umkehr zu bewegen. Nach 4 stündigem Gletschermarsch ist die Randkluft unter der Südwestflanke erreicht. Optimale Verhältnisse am Morgen. Ein hartes Schneefeld führt steil hinauf zum oberen Westgrat. Bobby fährt seine Krallen aus und zieht davon... den Zweibeinern bleibt nur langwieriges Steigeisen-Anlegen. Die Flanke steilt sich unter dem Grat bis ca. 50 Grad auf. Eine kleine Wächte - Bobby weicht in die Felsen aus - jetzt muss er umdrehen! Weit gefehlt! Kaum auf dem Westgrat angelangt, ist er wie aus dem Nichts plötzlich wieder da und stürmt in Richtung Gipfel zum Vereinigungspunkt von West- und Nordwestgrat. An einem Platten-Aufschwung wird hier das Gelände schwieriger. Auf der rechten Seite scheint ein günstiger Durchgang zu sein. Bobby knurrt unzufrieden. Da kommt er nicht drüber. Die Platten sind vereist, zum Teil brüchig. Unangenehm. Oberhalb ist ein guter Standplatz in Sicht und ein Haken ... und Bobby (wo kam der jetzt plötzlich wieder her???). Wieder scheint es rechts besser zu gehen, doch diesmal lasse ich den Vierbeiner vorsteigen: nach links über eine kurze Platte, wieder nach rechts über ein ebenso kurzes Band in eine enge Rinne und schon ist der Gipfelgrat erreicht. Ein atembraubender Blick auf das Matterhorn tut sich auf. Nach links blickt man in die endlose Tiefe der Nordwand der Dent d'Hérens:

Photo: // (c) oeg

Trotz des Neuschnees bereitet der Gipfelgrat kaum Schwierigkeiten (II-). Der große Block im Vordergrund zwingt Bobby am Ende aber doch noch eine Pause auf. Er trägts mit Fassung, macht es sich in einer kleinen Einschartung gemütlich und läßt versonnen die Schnauze über die Nordwand baumeln.

Photo: // (c) oeg

Einsamkeit am Gipfel. Ein großartiges Panorama. Hinten erkennt man den Mont Blanc und knapp rechts davon den Grand Combin:

Photo: // (c) oeg

Tief unten das Valpelline mit dem Stausee. Von dort war Bobby in der Nacht zum Samstag aufgebrochen...

Photo: // (c) oeg

Die Dent Blanche...

Photo: // (c) oeg


...und der Tiefblick in die gewaltige Nordwand:

Photo: // (c) oeg

Bobby hat treu gewartet und schmeißt sich schwanzwedelnd die Rinne vom Grat hinunter. An dem plattigen "Abschwung" folge ich den Pfoten-Spuren nach rechts und schon bald ist wieder leichteres Gelände erreicht.

Rückblick entlang des Westgrats:

Photo: // (c) oeg

Bobby wartet schon...


Photo: // (c) oeg

Die Südwestflanke hinunter zum Skidepot ist immer noch in hartem Zustand. Die ersten Sonnenstrahlen erreichen gerade das Skidepot an der Randkluft. Diesmal nutzt Bobby die Bresche in der Wächte. Seine Umgehungsroute im Aufstieg bleibt sein Geheimnis...

Photo: // (c) oeg

Es ist noch früh am Tag. Die Schulter im Ostgrat lohnt noch einen Besuch. Bobby ist begeistert, daß es noch weiter geht. Nach einer halben Stunde ist eine runde Kuppe erreicht. Die sogenannte "Epaule" selbst ist weiter links am Grat und erfordert wieder leichte Kletterei. Die schenken wir uns und genießen bei einer ausgiebigen Gipfelrast nochmal die Aussicht nach Süden über die Grandes Murailles hinweg in Richtung Gran Paradiso (links) und Grivola (rechts)...

Photo: // (c) oeg

...und zurück zum Gipfel der Dent d'Hérens aus neuem Blickwinkel:

Photo: // (c) oeg

Die drei anderen Hüttengäste erreichen nun auch die Firnkuppe. Troztdem herrscht hier noch keine Überfüllung.

Die Abfahrt beginnt im windverblasenen Harsch...

Der oberste Gletscherabbruch wird besser weiträumig umfahren. Noch einmal fällt der Blick auf die Dent d'Hérens mit der Anstiegsroute durch die SW-Flanke:

Photo: // (c) oeg

Bruchharsch, Firn und Pulver wechseln einander ab. Das Abfahrtsvergnügen hält sich mal wieder in Grenzen. Aber nur wegen des Skifahrens kommt man ja nicht hierher...

Wieder auf der Hütte angekommen, klärt mich der Wirt über Bobby auf - den Hund von Prarayer, der sich zum Leidwesen seines Besitzers immer wieder heimlich nachts davon stiehlt und am Rifugio Aosta auf einen Tourenbegleiter wartet, dem er dann überall hin folgt. Aus Zermatt und sogar schon aus Chamonix musste Bobby zurück geholt werden, wenn er keine geeignete Rückbegleitung gefunden hatte (denn er geht niemals alleine).

Bei der Abfahrt von der Hütte nehmen die Temperaturen sommerliche Werte an. Gleißendes Licht überall. Links oben sieht man am Gipfel des Chateau des Dames einige Skispuren.

Photo: // (c) oeg

Bobby folgt wieder. Trotz des moderigen Schnees muß man nie auf ihn warten.

Photo: // (c) oeg

Der Berg fließt dahin. Überall kommen kleine Bäche zum Vorschein. Die gestern noch fast geschlossene Schneedecke bis Prarayer hat einige große Löcher bekommen, die zum Skitragen zwingen. Das Saison-Ende kündigt sich an...

Photo: // (c) oeg

Am Rifugio Prarayer wartet der Wirt schon sehnsüchtig auf seinen Hund. Bobby wird erst mal kräftig ausgeschimpft... "c'est un chien-alpiniste", ein "Bergsteiger-Hund"! Nein - den kann man vom Bergsteigen nicht abhalten...

Routen-Info:

Vom Parkplatz am Place Moulin zum Rifugio Prarayer am See entlang ca. 1 Stunde. Von dort zum Rifugio Aosta nochmal knapp 3 Stunden. Der Anstieg zieht sich trotz des relativ geringen Höhenunterschieds in die Länge. Der Hüttenanstieg ist nach Neuschneefällen lawinengefährdet.

Vom Rifugio Aosta kurzer Abstieg und Querung auf die große Seitenmoräne. Entlang der Moräne zu einem flacheren Absatz, wo man den Gletscher betritt. Die folgende hohe Steilstufe wird am linken Rand überwunden. Im oberen Bereich zahlreiche große Spalten. Weiter am linken Rand aufwärts bis unter den oberen Gletscherbruch. Ein von großen Spalten unterbrochener Eiskanal zieht direkt zum Einstieg am Südgratfuß. Man umgeht diese Stelle besser in einem weiten Rechtsbogen (nur geringer Höhenverlust, 20 m). Bis zum Einstieg vom Rifugio Aosta ca. 4 Stunden.

Vom Südgratfuß unterhalb der Randkluft nach links. Durch die SW-Flanke gibt es keine feste Route. Je nach Schneeverhältnissen gerade hinauf zum obersten verfirnten Absatz im Westgrat (oben bis ca. 50 Grad, Wächte!) oder weiter links haltend zu einem kurz darunter liegenden Absatz. Der Untergrund besteht aus teilweise brüchigen Felsplatten (Steigeisen!). Bei Ausaperung besteht eine nicht zu unterschätzende Steinschlaggefahr. Die Flanke sollte nur bei sicheren Verhätnissen und auch dann nur zeitig am Morgen begangen werden (Südlage, Gefahr von Naßschneerutschen).

Der Westgrat führt nun über Firn und leichte Blöcke problemlos bis zum letzten Aufschwung unterhalb der Verbindungsstelle mit dem Nordwestgrat. Hier quert man nach links und nach wenigen Metern wieder nach rechts zu einer Felsniesche mit großem Haken (Platten, II-III, je nach Verhältnissen, bzw. dadurch bedingter Wegführung). Danach wieder nach links und durch eine kurze Rinne leicht zum Gipfelgrat (II-). Nun immer am Grat entlang (sehr ausgesetzt, aber klettertechnisch leicht, I-II) zum überfirnten Gipfel. 1 Stunde vom Einstieg (ohne Sichern).

Zur "Epaule" wendet man sich vor Erreichen des Südgratfußes nach rechts und erreicht problemlos in ca. 30 Minuten eine runde Firnkuppe (knapp 4000 m, Wächte nach Nordosten, Vorsicht: die Kuppe wird von einer Spalte durchtrennt). Um die eigentliche "Epaule" (Schulter - Punkt 4076 m im Ostgrat) zu erklimmen, geht man von hier nach links und erreicht über einen kurzen, dreieckförmigen Steilhang felsiges Gelände. Nun ca. 50 Hm durch brüchigen Fels zum Punkt 4076 m. Dieser letzte Anstieg sah nicht sehr lohnend aus und wird wohl eher selten durchgeführt.

Schwierigkeit: UIAA III

Die Kletterstellen erreichen den III. Grad nicht ganz. Sehr von den Verhältnissen abhängig. Bei Neuschnee und Vereisung sind entsprechende klettertechnische Reserven nötig. Es ist nicht ganz einfach, die leichteste Route zu finden. Dies gilt insbesondere für die SW-Flanke.

Am Glacier des Grandes Murailles viele große Spalten. Nach Neuschneefällen nur mit Seilsicherung.